Wolfsburger Sandkastenspiele

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rote Zora
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Wolfsburger Sandkastenspiele

Beitragvon rote Zora » Dienstag 22. November 2005, 15:12

VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch hat wieder einmal bewiesen, wer beim größten Autobauer Europas das Sagen hat: er. Konzernchef Bernd Pischetsrieder ist desavouiert, er muss mit einem Vorstand arbeiten, den er nicht wollte. Schon wird über seine Nachfolge spekuliert.

Bernd Pischetsrieder hat ein seltenes Talent. Je ärgerlicher oder gar skandalöser Ereignisse sind, die den VW-Konzern erschüttern, je schwieriger die wirtschaftliche Lage von Europas größtem Autokonzern wird, umso ruhiger präsentiert sich der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens. Überraschten Gesprächspartnern sagt der Manager mit dem König-Ludwig-Bart dann: "Warum soll ich mich über Sachen aufregen, die ich nicht ändern kann?"

Am Freitag vorvergangener Woche war es mal wieder so weit. Der Aufsichtsrat hatte in einer Kampfabstimmung mit 13 gegen 6 Stimmen die Ernennung des langjährigen IG-Metall-Funktionärs und Audi-Personalchefs Horst Neumann zum Nachfolger von Peter Hartz durchgesetzt, der wegen der Affäre um Tarnfirmen und Lustreisen für Betriebsräte zurückgetreten war. Für den Vorstandsvorsitzenden Pischetsrieder war dies eine Niederlage, wie sie in vergleichbarer Form noch kein Vorsitzender eines Dax-Konzerns hinnehmen musste.

Der VW-Chef war vom Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch vorgeführt worden. Erst am Tag zuvor, am Donnerstag, hatte der ihn über die geplante Ernennung Neumanns informiert. Pischetsrieder war dagegen. Neumann sei geeignet für seine Position bei der Tochter Audi. Für den Konzernvorstand aber wollte Pischetsrieder einen Kandidaten von außen holen, der möglichst nicht Mitglied der IG Metall ist - und damit auch ein Zeichen dafür setzen, dass die Zeiten der Mauscheleien zwischen Personalmanagern und Betriebsräten in Wolfsburg endgültig vorbei sind.

Doch Piëch und die Arbeitnehmervertreter im VW-Aufsichtsrat, die geschlossen für das SPD- und IG-Metall-Mitglied Neumann stimmten, zeigten dem VW-Vorsitzenden, wer in dem Autokonzern die Macht hat: der Aufsichtsratsvorsitzende, der privat am neuen VW-Großaktionär Porsche beteiligt ist, und die Arbeitnehmervertreter im Kontrollgremium unter Führung von IG-Metall-Chef Jürgen Peters.

Einem Vorstandsvorsitzenden, der von der Mehrheit des Aufsichtsrats so vorgeführt wird, der einen der wichtigsten Posten im Vorstand nicht mit einem Mann seiner Wahl besetzen kann, bleibt eigentlich

nur eines: Er muss die Vertrauensfrage stellen und gegebenenfalls zurücktreten. Doch wie reagierte Pischetsrieder? Er gab direkt nach der Sitzung zu Protokoll, er begrüße die "auch aus meiner Sicht erfreuliche Mitteilung" über die Personalie Neumann: "Jetzt ist der Vorstand wieder komplett."

Das entspricht Pischetsrieders Naturell, in dem spontane und kräftige Reaktionen offenbar nicht vorgesehen sind. Aber weitermachen wie bisher kann der VW-Boss nicht. Wie soll er den Sanierungskurs fortsetzen, der den Abbau von weit mehr als 10 000 Arbeitsplätzen in Deutschland erfordert, wenn er für die wichtigen Verhandlungen mit den Arbeitnehmern nicht auf einen Personalvorstand seiner Wahl setzen kann?

Piëch, Peters, der Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh und die anderen Aufsichtsräte, die für Neumann stimmten, mussten wissen, dass sie damit den Vorstandsvorsitzenden von VW schwächen und die Sanierungsarbeit erschweren. Schon gibt es erste Spekulationen darüber, Audi-Chef Martin Winterkorn könne Pischetsrieder, dessen Vertragsverlängerung im nächsten Jahr ansteht, ablösen. Es wäre schon aus Altersgründen für den 58-jährigen Winterkorn wohl die letzte Chance, den Chefposten in Wolfsburg zu besetzen.

Dass der VW-Vorsitzende jetzt angeschossen wird, kommt für viele überraschend. Bei der Sanierung des Konzerns gibt es erste Erfolgsmeldungen. Die Sparprogramme für die Belegschaft greifen, der Personalabbau kommt voran. In den ersten neun Monaten des Jahres ist der Gewinn wieder gestiegen.

Doch Pischetsrieder geriet nicht nur im Machtkampf zwischen Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff, der im Aufsichtsrat den zweitgrößten VW-Aktionär vertritt, und Ferdinand Piëch zwischen die Fronten. Er büßt auch für eigene Fehler. Und eine Rolle spielt wohl auch, dass Pischetsrieder die Aufklärung der Affäre um Betriebsräte, deren Besuche bei Prostituierten vom Konzern bezahlt wurden, nach Kräften vorantreibt.

Es kann IG-Metall-Chef Peters, der die betriebliche Mitbestimmung ohnehin gegen vielfältige Kritik verteidigen muss, nicht gefallen, dass durch immer neue Enthüllungen der Eindruck entsteht, bei VW seien Arbeitnehmervertreter käuflich gewesen. Dies kann auch Piëch kaum erfreuen, in dessen Amtszeit als Vorstandsvorsitzender nach Aussagen des entlassenen Personalmanagers Klaus-Joachim Gebauer die Versorgung des einstigen Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert und weiterer Arbeitnehmervertreter mit Prostituierten begonnen hatte.

So geriet Pischetsrieder ins Zentrum einer schwer überschaubaren Gefechtslage. Aus Sicht von Piëch-Vertrauten hat er sich vor allem angreifbar gemacht, als er nach dem Einstieg von Porsche beim VW-Konzern zusammen mit Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch bei J. P. Morgan ein Gutachten darüber in Auftrag gab, welche Chancen und Risiken sich für VW daraus ergeben. Das klingt harmlos, doch das Ergebnis der Investmentbanker war Sprengstoff. Sie plädierten dafür, dass kein Vorstand oder Großaktionär von Porsche im VW-Aufsichtsrat sitzen sollte, weil die Gefahr bestehe, dass VW zugunsten von Porsche, aber zu Lasten einer eigenständigen Entwicklung und damit der übrigen VW-Aktionäre gesteuert werde. Im Klartext: Piëch solle das Kontrollgremium verlassen und Porsche-Chef Wendelin Wiedeking dort erst gar nicht einrücken.

Als die Studie in der Aufsichtsratssitzung präsentiert wurde, sagte Piëch: "Das war der schlechteste Vortrag, den ich je gehört habe." Für Aufsichtsrat Wulff aber bildete er eine wesentliche Grundlage für seine Forderung, dass Piëch seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender aufgeben solle. So etwas vergisst Piëch nicht.

Mit der Mehrheit des Aufsichtsrats wäre eine Ablösung des Vorsitzenden möglich gewesen. Doch schon vor der entscheidenden Sitzung hatte IG-Metall-Chef Peters gesagt, dass die Arbeitnehmervertreter mit ihren zehn Stimmen geschlossen hinter Piëch stünden. Damit war der Putschversuch gescheitert, bevor er begonnen hatte.

Die überraschend einhellige Solidarität der Gewerkschafter mit dem Milliardär basiert wohl vor allem auf ihrer Abneigung

gegenüber dessen Kontrahenten Wulff. Der CDU-Politiker hatte entscheidend dazu beigetragen, dass die Verflechtung zwischen SPD-Politikern und dem VW-Konzern aufgebrochen wurde. Sechs SPD-Politiker, vier in Landtagen, zwei im Bundestag, hatten jahrelang neben ihren Abgeordnetendiäten ein Gehalt von VW bezogen. Diese Praxis wurde durch den Druck des Großaktionärs Niedersachsen beendet. Zwei Genossen sollen jetzt insgesamt mehr als 750.000 Euro zurückzahlen - so viel, wie sie im Laufe ihrer Abgeordnetentätigkeit nebenher noch von VW kassiert hatten.

Die Möglichkeit, Wulff eine Niederlage beizubringen, bot sich für Gewerkschafter Peters und Aufsichtsratschef Piëch bei der Suche nach einem Nachfolger für Hartz. Peters wollte Neumann, der privat mit der SPD-Linken Andrea Nahles liiert ist. Wulff wollte ihn nicht.

Der Gewerkschafter und der Aufsichtsratschef bereiteten die Ernennung Neumanns daraufhin wie eine geheime Kommandosache vor. Eine wichtige Rolle dabei spielte Aufsichtsrat Klaus Liesen, der einst Vorsitzender des Kontrollgremiums war und Piëch seit dieser Zeit eng verbunden ist. Er war in den Plan eingeweiht, noch bevor VW-Chef Pischetsrieder und Aufsichtsrat Wulff davon erfuhren.

Als der überraschte Wulff und andere Kapitalvertreter am Freitag dann ihre Ablehnung zu Protokoll gaben und eine Verschiebung des Tagesordnungspunkts beantragten, fragte Liesen, ob die Opponenten denn einen Gegenkandidaten hätten. Den konnten sie nicht vorzeigen. Liesen hakte nach. Ob sie in den nächsten sechs Wochen einen anderen Manager für die Position präsentieren könnten. Als sie auch dies nicht versprechen konnten, wurde abgestimmt.

Die VW-Aufsichtsräte Heinrich von Pierer und Gerhard Cromme waren mehr als wütend über dieses Verfahren. "Herr Piëch und Herr Wulff müssen verstehen, dass ein Dax-Unternehmen kein Sandkasten ist, in dem sie mit Förmchen spielen", tobte ein Aufsichtsrat. Das Ergebnis der Sitzung sei katastrophal. Der neue Personalvorstand Neumann sei durch die Art seiner Ernennung diskreditiert, obwohl er für seine Arbeit bei Audi durchaus gelobt wird. Und der Vorstandschef Pischetsrieder sei desavouiert. Cromme, der zugleich Vorsitzender der Corporate Governance Kommission ist, kündigte an, dass er nach der nächsten Hauptversammlung nicht weiter im VW-Aufsichtsrat mitarbeiten wolle.

Kurios war die Aufsichtsratssitzung auch aus einem anderen Grund. Ausgerechnet die Arbeitnehmervertreter im Kontrollgremium trumpfen wieder auf - als hätten sie nicht den geringsten Grund, etwas zurückhaltender zu agieren. Schließlich ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen zwei amtierende und zwei ehemalige Aufsichtsräte der Arbeitnehmerseite wegen des Verdachts der Untreue, weil sie auf Kosten des Konzerns die Dienste von Prostituierten genossen haben sollen.

Aber vielleicht wollten sie gerade deshalb zeigen, wie einflussreich sie im VW-Konzern noch sind. Dass Konzernchef Pischetsrieder dabei beschädigt wurde, kann kaum als Kollateralschaden gewertet werden. Wenn Gewerkschafter Peters und Piëch dies hätten verhindern wollten, hätten sie ihn nur rechtzeitig einweihen und um seine Zustimmung werben müssen. Pischetsrieder sollte angeschossen werden. Und er beging aus Sicht von Piëch-Vertrauten einen weiteren Fehler.

Am Montag nach der Sitzung gab der VW-Konzern bekannt, dass er den Verkauf der Luxuslimousine Phaeton in den USA einstellt. Das war kein Racheakt, um dem Aufsichtsratschef eins auszuwischen. Die Entscheidung war lange vorbereitet, weil jeder in den USA verkaufte Phaeton den Verlust um mehr als 10 000 Euro erhöht.

Dennoch muss Piëch der schnöde Umgang mit einem seiner Lieblingskinder aus seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender böse aufgestoßen sein. Die Entscheidung hatte zwar VW-Markenchef Wolfgang Bernhard gefällt. Doch Pischetsrieder hätte sie mit gutem Grund stoppen können. Denn der Imageschaden für den Phaeton ist wahrscheinlich größer als die Verluste, die er in Nordamerika einfährt. Zumal die Absatzzahlen des Modells in Europa gerade anziehen.

Einige Aufsichtsräte spekulieren nun, dass Pischetsrieder im nächsten Jahr abgelöst wird. Doch das liegt weder im Interesse Piëchs noch in dem von Wulff und Porsche-Chef Wendelin Wiedeking.

Piëch hat mit dem Coup vom vorvergangenen Freitag erreicht, was er erreichen konnte. Wulff erlitt eine Niederlage, Pischetsrieder wurde gezeigt, wer der wahre Herrscher über den VW-Konzern ist, und wenn Cromme den Aufsichtsrat verlässt, dann sitzt dort ein lästiger Kritiker weniger. Mit der Ablösung Pischetsrieders wäre aus Sicht des Aufsichtsratsvorsitzenden kaum noch etwas zu gewinnen.

Auch Porsche-Chef Wiedeking, der die Sportwagenfirma durch ein Drei-Milliarden-Euro-Investment zum größten VW-Aktionär gemacht hat, kann kein Interesse an einem Wechsel an der VW-Spitze haben. Er kommt mit Pischetsrieder gut klar und will, dass die Sanierungsarbeit in Wolfsburg nicht wegen Turbulenzen im Management ins Stocken gerät.

Nach der denkwürdigen Sitzung aber gingen einige Aufsichtsräte davon aus, dass Pischetsrieder von sich aus hinschmeißen würde. Wulff rief den VW-Vorsitzenden an und bat ihn zu bleiben.

Doch das wäre möglicherweise nicht nötig gewesen. Pischetsrieder ist natürlich sauer über die Art, wie die Mehrheit des Aufsichtsrats ihn düpierte. Aber er sagte zu Vertrauten: "Ich habe keine Sekunde daran gedacht, meinen Posten wegen dieser Geschichte aufzugeben."



Quelle: Spiegel
Ein runder Gruß
Sylvia


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Lalle
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Beitragvon Lalle » Dienstag 22. November 2005, 21:13

Ja ,ja der Ferdinand.Wenn man direkt von Umstrukturierung und Personalabbau betroffen ist und dann sowas liest-ich hab sooo ein Hals! :twisted: Hier gehts nicht um den Konzern,die Arbeitnehmer nur Kasperletheater und persönliche Interessen. :?

Danke Sylvia :wink:
Zuletzt geändert von Lalle am Dienstag 22. November 2005, 21:14, insgesamt 2-mal geändert.


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