Knutschkugel war gestern
Der Ragster schaut fast böse drein. Grundlos, er ist die Vorhut vieler geplanter Ableger des VW Beetle
Ein New Beetle von Volkswagen ist in den USA kein ungewöhnlicher Anblick. Dieser Beetle mit dem abgeflachten Dach aber schon. Gingen Beobachter zur Autoshow von Detroit im Januar noch davon aus, daß die dort erstmals gezeigte Ragster-Studie ein Einzelstück bleiben würde, so steht nun die Entscheidung zum Bau einer Kleinserie bevor. So verlautete es in diesen Tagen aus Kreisen des Herstellers. Die konzerneigene Abteilung VW Individual könne sie auflegen. Grund genug, den Frischluft-Ragster im Land seiner mutmaßlich größten Fangemeinde frühzeitig probezufahren.
Ganz präzise führt der Ausflug nach Fulton Ferry, zum Bootsanleger unter der New Yorker Brooklyn Bridge, wo sich ein grandioser Ausblick auf die Skyline bietet und der Ragster als Nachfahre einer Auto-Ikone dem Vergleich mit den Hochhaus-Ikonen der Metropole standhalten muß.
Gegenüber dem aktuellen New Beetle ist der Rücken beim Besteigen des Ragster wesentlich tiefer herabzubeugen. So verlangt es die um neun Zentimeter abgesenkte Dachkante. Zwei Schalensitze vorn sind nahezu in der Mitte des Fahrzeugs positioniert, was durch das Konzept mit Frontmotor und -antrieb bedingt wird. Die Tür hat rahmenlose Scheiben und gleicht jener des Beetle Cabriolets, das die Basis des Ragster bildet.
Gestartet wird derzeit noch mit dem Zündschlüssel wie in jedem herkömmlichen VW Golf. Für die Kleinserie aber ist ein im Lenkrad integrierter Starterknopf vorgesehen. Als der 1,9-Liter-Dieselmotor erwacht, wirkt keiner der Bewunderer überrascht, die sich schnell um den Ragster scharen. Der Vierzylinder wird von Amerikanern nicht als härter verbrennender Diesel wahrgenommen. Unerkannt schnurrt er vor sich hin. Trotzdem wird der Ragster nicht zur Popularisierung des Diesels in den Staaten beitragen können. Es gilt als sicher, daß er für den nordamerikanischen Markt ausschließlich mit dem 2,3-Liter-Fünfzylinder-Benziner ausgestattet wird. Das 170 PS starke Aggregat wird selbstverständlich auch in Europa erhältlich sein.
Wenn der Ragster antritt, fliegt New York nicht nur an den Seitenfenstern vorbei. Vom riesigen U-förmigen Dachrahmen aus gebürstetem Aluminium eingefaßt, wachsen über dem Kopf des Piloten die Hochhäuser Manhattans zum Himmel. Das Dach des Ragster weist markante C-Säulen auf, fließt aber insgesamt harmonisch in der Heckpartie aus.
Stilistisch ähnelt das Profil des in "Rebel-White" lackierten Ragster eher einem Coupé als einer viersitzigen Limousine. Auch bei geöffnetem Dach zieht es auf den vorderen Plätzen nicht. Höchstens eine leichte Brise streicht ums Haupt, wenn der New Yorker Verkehr vor der niedrigen Frontscheibe und dem neugestalteten Vorderwagen zu tosen beginnt.
Das Kunstwort "Ragster" ist eine Kombination aus Speedster und Ragtop. "Speedster" steht für die abgesenkte Dachlinie und soll Assoziationen an den legendären Porsche gleichen Namens wecken. "Ragtop" bezeichnet das per Knopfdruck im Lenkrad weit öffnende Faltschiebedach. Der bisher als Knutschkugel geherzte New Beetle setzt als Ragster regelrecht böse Gesichtszüge auf und wirkt durch die scharfkantig angewinkelten Radhäuser und eine stärker gepfeilte Fronthaube deutlich markanter. Für mehr Profil sorgen auch die ovalen Scheinwerfer mit darunter angeordneten, breiten Blinkern, neue Rückleuchten, flachere Außenspiegel sowie Stoßfänger mit drei Öffnungen für die benötigte Kühlluft.
Diese Stilelemente wird die nächste Generation des New Beetle übernehmen. Aber diese Aussage wird von Volkswagen-Designern nur hinter vorgehaltener Hand mitgeteilt. Gleiches gilt womöglich auch für die füllig in den Radhäusern wohnenden 19-Zoll-Leichtmetallräder mit Reifen im 235er-Format. Dagegen bleibt der silberlackierte Doppelstreifen auf Motorhaube und Heckklappe mit großer Wahrscheinlichkeit dem Ragster vorbehalten. Er ist als Reminiszenz an den in Amerika gern getragenen Schmuck der Rennwagen zu verstehen.
Mit seinem neugestalteten Interieur zollt der Ragster vor allem den Bedürfnissen des männlichen Kundenkreises Tribut und beweist sogar einen gewissen Nutzwert. Es wirkt sportlicher als im bisherigen New Beetle und hält auch im Fond Schalensitze vor. Sie sind klappbar und fügen sich mit der rückwärtigen Hartschalen-Oberfläche zu einer ebenen Fläche. Die kann ohne weiteres mit sandigem Sportgerät oder feuchter Taucherkleidung beladen werden. Das bei umgeklappten Fondsitzlehnen durch die Heckklappe zugängliche Ladeabteil zeigt Ausmaße einer Pick-up-Pritsche.
Da der Ragster auf der verstärkten Karosserie des Cabriolets basiert, bringt er einige Kilogramm mehr auf die Waage als die aktuelle Limousine. Beim ersten Ausritt spürt man das Mehrgewicht jedoch nicht. Der drehmomentstarke Turbodieselmotor mit Direkteinspritzung verhilft dem Ragster zu jener Leichtfüßigkeit, die sein optischer Auftritt suggeriert. Dabei erzeugt das flache Dach zusammen mit den weit hinten angeordneten Sitzen zumindest von außen den Eindruck, einen Hecktriebler fahren zu sehen.
Daß man eine Ikone nicht wesentlich, keinesfalls aber rasch verändern darf, ist ein ehernes Marketinggesetz. Deshalb soll auch die nächste Generation des New Beetle optisch nur in Nuancen verändert werden. Derivate auf bestehender technischer Basis wie der Ragster bieten die Möglichkeit, neue Kundenkreise anzusprechen, ohne die Traditionskunden zu verprellen.
Und weil das Konzept der frontgetriebenen Golf-Plattform ohne großen Entwicklungsaufwand sogar einen Beetle-Pick-up mit offener Ladefläche und einen Beetle California gänzlich ohne Dach hervorbringen könnte, darf man neugierig sein. Schon heute steht aber fest, daß der Ragster nur die Vorhut einer konzernintern bereits ausgearbeiteten Produktoffensive auf Beetle-Basis bildet.
Quelle: Welt am Sonntag